Stirbt der Dorsch aus?

07.09.2021

Pressemitteilung des Deutschen Fischereiverbandes

Vor einigen Tagen gab die Universität Hamburg eine Pressemitteilung heraus, in der behauptet wurde, dass der Dorschbestand der westlichen Ostsee zusammengebrochen und eine Erholung dieses Bestandes in näherer Zukunft sehr unwahrscheinlich ist. Grundlage für diese Pressemitteilung ist eine Studie, die unter Leitung von Christian Möllmann in der Zeitschrift Scientific Reports veröffentlicht wurde.

Die Presse verbreitete diese Nachricht mit eigenen erfundenen Titeln, um alles noch dramatischer zu machen. Der Gipfel war die "Tagesschau", die sogar meldete, der Dorsch droht auszusterben.

Das Thünen-Institut hat dazu einen sehr aussagefähigen Faktencheck erarbeitet und verbreitet.

Bei einem eigenen Blick auf die Studie fragt man sich zuerst, wie so ein Text durch den wissenschaftlichen "Peer-Review-Prozess" kommen konnte. Dabei prüfen andere Wissenschaftler die Methoden und Ergebnisse einer Publikation vor deren Veröffentlichung darauf, ob die Ergebnisse neu und wirklich wissenschaftlich abgesichert sind.

Als Co-Autoren erscheinen Wissenschaftler der Christian-Albrechts-Universität Kiel*. Der Cluster ‚Future Ocean Sustainability' der Universität hat kürzlich die Förderung durch die Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder verloren.

Kritikpunkte aus fischereilicher Sicht:

1. Die Arbeit beruht auf Modellierungen vorhandener Daten und alter Zeitreihen. Es gibt keine neuen, wissenschaftlich bisher nicht veröffentlichten Daten, welche die Forscher selbst erhoben haben. Das ist nicht verboten, aber vielfach macht man dabei Fehler, die in Fachkreisen "GiGo" heißen: Garbage in - Garbage out. Auf Deutsch: Gibt man Müll rein, kommt Müll raus. Die Datenreihen sind im Einzelnen nicht schlecht. Die Autoren haben aber durch eine unzulässige Kombination und teilweise Fehlinterpretationen von Daten, das Modell mit falschen Eingangsdaten gefüttert. Sie kombinieren alte Datensätze aus der Zeit, in der Ost- und Westdorsch noch als ein Bestand bewirtschaftet wurden mit neuen Datensätzen aus der getrennten Bewirtschaftung und Bestandsmodellierung. Dabei berücksichtigen sie nicht, dass im Westen immer viele eingewanderte Ostdorsche schwimmen. Das muss man sauber herausrechnen, wenn man solche zeitübergreifenden Berechnungen anstellt. Offensichtlich ist das jedoch nicht erfolgt. Dadurch erscheint der Westbestand früher um 30 % größer gewesen zu sein als jetzt.

2. Die Studie betrachtet gleich in der Einführung die Fischereiflotte der deutschen Ostseeküste. Die Fänge der für diese Flotte wichtigsten Art, dem Dorsch, sind seit den späten 1990er Jahren um mehr als 90 % gesunken und in der Folge ist laut der Studie ein Niedergang der Flotte mit einem Rückgang der Anzahl der Fischereiboote um 50 % zu beobachten.
Der Flottenrückgang wird dann seit 1990 grafisch dargestellt. Was allerdings nicht genannt wird, ist, dass diese Zeitreihe auch den Rückgang der ehemaligen Küstenfischereiflotte der ehemaligen DDR darstellt. Die DDR Küstenfischereiflotte musste sich in den frühen 1990er Jahren von einer staatlich subventionierten Lebensmittelwirtschaft an die Marktwirtschaft anpassen. Hinzu kommt, und auch das wird an dieser Stelle nicht ausreichend berücksichtigt, dass die Ostseefischerei in Mecklenburg-Vorpommern nicht hauptsächlich vom Dorsch, sondern vom Hering abhängig war und ist. Da auch beim Heringsbestand in der westlichen Ostsee die Fangmöglichkeiten seit Anfang der 2000er Jahre rückläufig sind, ist demzufolge auch die Anzahl der Fischereiboote rückläufig.

3. In der Studie ist von einer "zusätzlichen Bedrohung" der Fischerei durch die Freizeit-fischerei die Rede, deren Fänge heute angeblich mehr als 50 % der Gesamtfangmenge ausmachen. Diese Annahme ist einfach falsch und wird durch die in der Abbildung 1a dargestellten Fänge auch nicht bestätigt. Zudem gilt seit 2017 ein bag limit für Dorsche in der westlichen Ostsee. Dadurch sind die anglerischen Entnahmemengen deutlich zurückgegangen. Die aktuellen Dorschfänge für 2021 prognostiziert der ICES auf 4.635 t in der kommerziellen Fischerei und 1.315 t in der Freizeitfischerei. Für 2011 nennt der ICES 9.107 t kommerzielle Fänge und 2.595 t in der Freizeitfischerei beim Westdorsch.

4. Die Autoren zeigen eine offensichtliche Unkenntnis des Managements und der Zusammenhänge in der Ausübung der Ostseefischerei. Sie behaupten, dass es in der westlichen Ostsee eine weitgehend unregulierte Fischerei gibt, da die erlaubte Gesamtfangmenge (TAC) nicht ausgenutzt wurde. Den Autoren ist offensichtlich nicht bekannt, dass eine Unternutzung des TAC verschiedene Ursachen haben kann. So wird der Schollen-TAC in der Ostsee seit Jahren nicht annähernd vollständig genutzt und ist dennoch für alle Nationen, außer Dänemark, limitierend. In Deutschland kann beispielsweise der Dorschfang in der westlichen Ostsee durch fehlende Schollenquote für den Plattfischbeifang beschränkt werden.

5. Die vorgestellten Aussagen über den Zustand der Dorschbestände sind nicht neu. So hat der ICES den Westdorsch-Bestand bereits 2016 als "kollabiert" bezeichnet. Der Laicherbestand war zu diesem Zeitpunkt der niedrigste in der Zeitreihe und hat einen Rekordjahrgang hervorgebracht. Vom Aussterben ist der Westdorsch allerdings weit entfernt. Es gibt noch immer viele Millionen erwachsene Tiere, die ein Fortbestehen des Bestandes sichern können. Durch die besonders produktive Fortpflanzungsweise der Dorsche mit einer sehr hohen Eizahl pro Elterntier reicht ein geringer Laicherbestand, um einen starken Nachwuchsjahrgang hervorzubringen, wenn die Umweltbedingungen günstig sind.

6. Die Wissenschaftler des ICES bemühen sich seit einigen Jahren, die Bestandsmodelle und Bestandsschätzungen mit den Entwicklungen im Wasser in Einklang zu bringen. Den funktionalen Zusammenhang zwischen dem Klimawandel und der Reproduktion der Dorsche (zu warm, zu wenig Salzwassereinstrom aus der Nordsee?) hat man noch nicht gefunden. Diesen funktionalen Zusammenhang zwischen Umwelt und Dorschpopulation liefern auch Möllmann et al. nicht. Er wäre aber die Voraussetzung, um die Änderung der Umweltbedingungen im Bestandsmodell abzubilden.

7. Der Pressetext der Universität enthält eine originelle Formulierung: "…eine Situation, in der weniger Fische brüten können, so dass immer weniger Eier überleben und heranwachsen." Vögel sitzen im Nest und erbrüten die Eier mit ihrer Körperwärme. Fische tun das nicht, weil sie wechselwarm sind. Ihre Körpertemperatur entspricht der Wassertemperatur. Dorsche sind pelagische Laicher, die Eier treiben also im freien Wasser, ohne dass da jemand auf den Eiern sitzt und "brütet".

Fazit:

- Der laxe Umgang mit entscheidenden Eingangsdaten lässt Zweifel aufkommen, wie aussagekräftig die Ergebnisse der Modellierung tatsächlich sind. Man sollte deswegen keinesfalls eine Bewirtschaftung und fischereiliche Nutzung aufgeben, welche die Erholung des Bestandes und die Vergrößerung der möglichen Erträge zum Ziel hat.

- Man hat in der Studie vieles in einen Topf geworfen, zusammen verwurstet und daraus Zusammenhänge modelliert, die so in der wirklichen Welt nicht vorhanden sind. Das hätten kompetente Wissenschaftler, die sich in der Ostseefischerei auskennen, auch sicher bemerkt und von einer Veröffentlichung der Studie in dieser Form abgeraten.

- Der Pressetext ist so formuliert, dass die reißerischen Überschriften in der Tagespresse über das "Aussterben" des Dorsches zu erwarten waren. "Klimawandel" und "Überfischung" ziehen immer und bieten Gelegenheit zur dramatisierenden Zuspitzung. Wissenschaftler sind heutzutage im Umgang mit Medien erfahren genug, um das vorherzusehen und sollten das im Interesse der Glaubwürdigkeit der Wissenschaft vermeiden.

- Schaut man sich die übrig gebliebenen, alten, kleinen Fischkutter in den Ostseehäfen an, muss sich inzwischen selbst der Laie fragen, wie diese Flotte eine so dramatische "Überfischung" herbeiführen soll.



Kontakt: Claus Ubl 0176 - 832 10 604

 

 

Bild zur Meldung: Stirbt der Dorsch aus?